In Anbetracht von Pandemien, Klimawandel und Antibiotikaresistenzen spielt das klinisch-mikrobiologische Labor eine zentrale Rolle bei der Optimierung des Managements von Infektionskrankheiten und der Überwachung der lokalen und globalen Epidemiologie. Künstliche Intelligenz kann dabei helfen, diese entscheidende Rolle noch schneller und wirtschaftlicher zu erfüllen: rationale Probenahmen, erweiterte Automatisierung und effizienter Einsatz neuer Technologien. Werfen wir einen Blick auf ein paar Beispiele, die wir von medicalvalues in der Praxis gemeinsam mit unseren Kund:innen angehen.
Künstliche Intelligenz in der mikrobiologischen Präanalytik
Ein Patient kommt mit Fieber, Husten und Halsschmerzen in die Praxis oder Notaufnahme. Schon hier kann die Unterstützung durch Künstliche Intelligenz beginnen, z. B. mit einem dynamischen Fragebogen zur Eingrenzung der Untersuchungsempfehlungen. Stammdaten und andere schon vorhandene Informationen können dabei bequem aus dem (Praxis- oder) Krankenhausinformationssystem übernommen werden.
Im Abgleich mit Standardarbeitsanweisungen (SOPs), Leitlinien, Literatur oder sogar aktuellen Informationen zur globalen und lokalen epidemiologischen Lage kann das KI-Assistenzsystem konkrete diagnostische Maßnahmen vorschlagen. Zu den mikrobiologischen Anforderungen erhält das medizinische Fachpersonal genaue Hinweise, wie und wann Proben zu entnehmen sind und wie sie gelagert und transportiert werden müssen. So können präanalytische Fehler, die gerade in der Mikrobiologie sehr häufig sind, effektiv minimiert werden.
KI in der komplexen mikrobiologischen Befundung
Seit drei Monaten Fieber, Nachtschweiß, Müdigkeit, gelegentliche Kopfschmerzen und Gewichtsverlust, ein kürzlicher Aufenthalt in Südostasien mit einigen Insektenstichen und auch eine Episode von Durchfall – solche Fälle sind in unserer heutigen globalen Gesellschaft keine Seltenheit mehr. Neben einer Vielzahl von bakteriellen, viralen, parasitären und Pilz-Infektionen umfasst die Palette an möglichen Differenzialdiagnosen auch Autoimmunerkrankungen, Malignome oder endokrinologischen Ursachen.
Ein KI-Assistenzsystem kann in dieser komplexen klinischen Situation auf verschiedene Weise zu einer integrierten Diagnostik beitragen:
Literaturrecherche und evidenzbasierte Empfehlungen: Die KI kann schnell und effizient umfangreiche und auch neuste Literatur berücksichtigen und daraus relevante Inhalte für die patientenindividuelle Situation bereitstellen.
Erstellung und Priorisierung einer differenzialdiagnostischen Liste: Basierend auf den eingegebenen Symptomen und Befunden kann die KI eine Liste möglicher Diagnosen erstellen und für eine effiziente weitere Stufendiagnostik priorisieren. Sie kann Empfehlungen geben, welche Informationen noch erfragt werden könnten oder welche zusätzlichen diagnostischen Tests in welcher Reihenfolge sinnvoll wären.
Datenanalyse und Mustererkennung: KI kann große Mengen an unterschiedlichsten Patientendaten, einschließlich Laborergebnissen, Anamnese, Symptomen oder Bildgebung schnell analysieren und Muster erkennen, die auf bestimmte Diagnosen hinweisen. Sie kann bei der Interpretation helfen, auch Effekte von Kreuzreaktionen oder Koinfektionen zu berücksichtigen. Durch den Abgleich der Symptome und Reiseanamnese mit einer umfangreichen Datenbank kann die KI seltene und tropische Erkrankungen in Betracht ziehen, die ansonsten möglicherweise übersehen werden könnten.
Kommunikation und Dokumentation: Es können detaillierte Berichte erstellt werden, die klinische Befunde und durchgeführte Tests sowie vorgeschlagene Diagnosen und Behandlungen zusammenfassen. Sind Abklärungen durch unterschiedliche Fachdisziplinen notwendig, können LLM-basiert schnell Einzelberichte mit Spezialfokus erstellt werden. Auch für die Aufklärung und Einbindung des Patienten selbst kann die KI die komplexen medizinischen Informationen in laienverständliche Form bringen.
Antibiotic Stewardship: KI für Therapie und Monitoring
Eine 60-jährige Dame wird mit hohem Fieber, Schüttelfrost und starkem Husten in die Notaufnahme eingeliefert. Sie berichtet von einem kürzlichen Krankenhausaufenthalt in einem anderen Land, wo sie wegen einer Lungenentzündung behandelt wurde. Während ihres Aufenthalts erhielt sie mehrere Antibiotika, darunter ein Breitspektrum-Antibiotikum. Wird hier ohne genaue Kenntnis der Erreger und deren Resistenzmuster behandelt, besteht eine hohe Gefahr, dass unwirksame Antibiotika eingesetzt werden und Resistenzproblematiken verschärft werden. Gleichzeitig sind hier schnelle Entscheidungen notwendig, um die Infektion zu kontrollieren – eine prekäre Situation, die die Gefahr von Fehlern erhöht.
Der Einsatz von künstlicher Intelligenz kann gerade hier helfen, trotz hohem Zeitdruck alle relevanten Faktoren im Blick zu behalten: z. B. die Resistenzlage im Ausland, die dort wahrscheinlich angewendeten Leitlinien, Begleiterkrankungen, Leber- und Nierenfunktion oder Wechselwirkungen mit Medikamenten.
Auch nach der initialen Therapieentscheidung kann die KI kontinuierlich weiter unterstützen. Durch das Sammeln von Datenpunkten kann sie Prognosemodelle erstellen, die den wahrscheinlichen Verlauf der Erkrankung vorhersagen und dabei helfen, frühzeitig Veränderungen zu erkennen, die eine Anpassung der Therapie erfordern. So kann sie dazu beitragen, dass immer gezielt das wirksamste Antibiotikum eingesetzt wird und das Risiko von Resistenzen minimiert wird.
Prävention: Keimbedingten Komplikationen mit KI vorbeugen?
Eine 68-jährige Hundehalterin mit einer Vorgeschichte von Diabetes mellitus und Bluthochdruck soll elektiv einen Hüftgelenksersatz bekommen. Hier könnte eine KI bereits bei der Anforderung routinemäßiger präoperativer Laborwerte darauf hinweisen, dass eine Konstellation mit erhöhtem Risiko für Komplikationen durch Multiresistente Erreger besteht. So könnte bereits vor der Operation ein entsprechendes Screening durchgeführt werden. In unserem Fall findet sich ein Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus (MRSA).
Lohnt es sich, die Operation für einen Eradikationsversuch aufzuschieben? Die Vorhersage der Wirksamkeit eines MRSA-Eradikationsversuchs ist komplex und hängt von vielen Faktoren ab. Gerade deshalb kann auch hier die Künstliche Intelligenz mit Prognosemodellen gut unterstützen.
In unserem Fall gelingt die Eradikation nicht. Doch mit dem Wissen darum, können die Maßnahmen der Krankenhaushygiene optimal greifen. Auch hier kann Künstliche Intelligenz wieder dabei unterstützen, genau die Maßnahmen zu identifizieren, die in diesem individuellen Fall sinnvoll und wirtschaftlich sind – angefangen über eine Antibiotikaprophylaxe vor der OP über verschärfte Hygienemaßnahmen und eine Minimierung der Operationszeit bis hin zur engmaschigen postoperativen Kontrolle mit gezielter Antibiotikatherapie bei Bedarf.
Diese Beispiele zeigen, wie Künstliche Intelligenz schon jetzt die Genauigkeit und Effizienz in der mikrobiologischen Diagnostik verbessern und zur Patientenversorgung beitragen kann. Welche Erfahrungen haben Sie selbst gemacht? Oder wo stoßen Sie auf Probleme, für die Sie bisher noch keine Lösung gefunden haben? Unser Team von IT-ler:innen und Ärzt:innen bei medicalvalues freut sich immer über neue Herausforderungen.